Mal jemanden hören, der wirklich weiß, wie´s geht
In einer heutzutage überdimensionalen Fitness- und Bodybuildingszene gibt es eine ganze Reihe von selbsternannten Trainern, Coaches und Gurus. Alle erzählen einem, wie Training, Essen, etc. angeblich funktioniert und erfinden das Rad zum tausendsten Mal neu. Professionell ausgeführt haben die meisten den Sport allerdings nie. Ein richtiger Wettkampf-Bodybuilder zu sein, ist halt oft etwas zu ungemütlich in der fluffigen Instagram-Welt.
Das Leben eines Wettkampf-Athleten gleicht einem Asketen: Essen, Training, Schlafen – Markus Rühl und Heiko Kallbach, die diesen Lifestyle selber über mehrere Jahrzehnte gelebt haben, wissen, wovon sie reden. Freunde, Partys und Luxus? Fehlanzeige. „Mein einziger sozialer Kontakt war mein Wellensittich“ – so Rühl. Die Vorbereitung für den nächsten Wettkampf war stets das Ziel, auf das akribisch und kompromisslos hingearbeitet wurde. Einem wird sofort klar, dass hier ein anderes Level der Expertise herrscht als bei irgendwelchen Fitness-Youtubern. Hier gibt es keine studienlastigen Vorträge oder wissenschaftliche Abhandlungen. Sondern hier erzählen zwei Profis der alten Schule, wie Bodybuilding funktioniert.

„Wissenschafts-Bodybuilding“ vs. Oldschool Bodybuilding
Ein großes Thema des Seminars war die Frage, warum die Leistungsdichte im Bodybuilding in den letzten zehn Jahren so nachgelassen hat. Denn die Oldschool-Athleten der 1980er bis in die 2000er Jahre waren im Gegensatz zum heutigen Profi-Ensemble unzweifelhaft massiver und besser. Dass ein Heiko Kallbach nie beim Mr Olympia stand, ist angesichts seiner damaligen Form lächerlich. „Ich war zu hässlich“ – sagte Heiko mit einem Augenzwinkern, während der Saal lacht. In Wahrheit waren seine Milieu-Verflechtungen der wahrscheinliche Grund, warum die IFBB den Deutschen nie so weit nach oben kommen ließ. Trotzdem gehörte er ohne Frage zu den massivsten Athleten seiner Zeit.
Zum Leidwesen der beiden Ex-Profis habe sich Bodybuilding sehr verändert. Das Internet, aber auch die Fitnessstudios seien voll von „Wissenschafts-Bodybuildern“. Und der Blick in die sozialen Netzwerke gibt ihnen recht: Jede Wiederholung wird auf die Goldwaage gelegt, die Technik muss immer richtig sein, alles wird mit Studien untermauert. Natürlich ist es nicht schlecht, den Sport von wissenschaftlicher Seite zu betrachten. Trotzdem ist die neue Generation optisch weit entfernt von einem Rühl oder Kallbach – trotz Deloads, Push-Pull-Beine und Entsaftungskuren.
Symptomatisch dafür kam während des Seminars die Frage auf, wo denn der Hypertrophie-Bereich liege. Ein Sportwissenschaftler würde jetzt etwas von 8 bis12 Wiederholungen faseln – und natürlich kann man mit der Anzahl der Wiederholungen von Maximalkraft bis Kraftausdauer gezielter trainieren. Richtige Bodybuilder decken jedoch im Training alles ab. „Von 30 Wiederholungen mit leichtem Gewicht bis drei schwere Wiederholungen sollte alles dabei sein – denn alles lässt den Muskel wachsen!“, war das Urteil der Oldschooler. Ein Champion habe sowas im Blut und überlegt nicht, ob jetzt acht oder fünfzehn Wiederholungen gemacht werden oder ob das jetzt noch „Hypertrophie“ ist. Sondern es wurde geackert und trainiert, bis nichts mehr geht – Tugenden, die im Wirrwarr von Tiktok und Instagram anscheinend verloren gehen.

Ein Pinguin erzählt dem Adler nicht, wie das Fliegen funktioniert
Rühl und Kallbach werden vor allem von so vielen respektiert, weil sie selbst umgesetzt haben, wovon sie anderen erzählen. Dass auch einige Fitness-Youtuber Fachwissen haben, will niemand abstreiten. Dennoch stellt sich die Frage, warum sie es anscheinend selber nicht umsetzen. Heiko Kallbach brachte es auf den Punkt: „Was bringt dir Wissen, wenn du trotzdem aussiehst wie ein Sack Muscheln?“ Gesundheits-Sport oder Fitness zu machen, ist vollkommen in Ordnung. Für sich in Anspruch zu nehmen, richtiges Bodybuilding zu betreiben und sich moralisch wie fachlich mit Legenden des Sports auf eine Ebene begeben, mutet seitens vieler „Wissenschaftssportler“ zumindest grotesk an. Im Endeffekt sprechen die Resultate für sich und keiner dieser Leute kommt auch nur annähernd an das Niveau der alten Garde heran.
Trotzdem zeigten sich Rühl und Kallbach auch selbstreflektiert: „Wir haben uns halt nur um unseren Sport gekümmert.“ Und so kam es, dass Fitness-Influencer mit Entertainment auf Youtube ein Millionenpublikum erreichten, während die Expertise der „Oldschooler“ weniger gefragt war, weil sie die neuen Medien zu sehr vernachlässigten. Doch mittlerweile haben auch die ehemaligen Profis das Netz erobert und führen den Kraftsport wieder zu seinen Wurzeln zurück – mal den Kopf ausschalten, nicht jede Übung am Reißbrett zerpflücken, sondern mit Herzblut trainieren und alles geben.
Es geht nicht um Stoff!
Von „New School“ Sportlern wird häufig als Totschlagargument angeführt, dass die Bodybuilder damals ja Stoff genommen hätten und deshalb im Training praktisch alles funktioniert. Dass im Leistungssport ab einem gewissen Niveau – gerade auch, wenn viel Geld damit verbunden ist – gedopt wurde und wird, ist kein Alleinstellungsmerkmal im Bodybuilding. Vielmehr wird von Fußball bis Basketball und Tennis, ja selbst beim Eiscurling, kräftig mit Medikamenten und Schmerzmitteln aller Art nachgeholfen. Auch wenn der Gebrauch von Steroiden im Wettkampf-Bodybuilding am ehesten sichtbar ist, wurde damals im Profibereich erstaunlicherweise lange nicht so viel gestofft, wie manche glauben. „Der Steroidkonsum im Amateurbereich ist wesentlich höher als bei den Profis“ – merkte Heiko Kallbach an. Bei den Profis werde wesentlich strukturierter und zum Teil unter ärztlicher Aufsicht gedopt, während die Amateure oft vieles ausprobieren. Rühl erzählte hierzu, dass der fünftplatzierte der Baden-Württemberg Meisterschaft mehr genommen hätte als er selbst beim Mr. Olympia. „Viel hilft viel“ treffe in diesem Fall nicht zu.
Dabei hat sich das Doping qualitativ wie quantitativ heute deutlich weiterentwickelt im Vergleich zu früher. Mit „neuer Technologie“ müsste logischerweise eigentlich auch die Leistung und die Performance wachsen. Dem ist aber augenscheinlich nicht so, wenn man sich die Profis von heute anguckt. Der Stoff macht also noch nicht den Champion. Marlus Rühl sagte hierzu im Seminar, dass in einem komplett dopingfreien Bodybuilding trotzdem dieselben Spitzensportler vorne seinen, also ein naturaler Ronnie Coleman trotzdem noch achtmal Mr. Olympia. Es komme seiner Meinung nach vor allem auf den Fleiß, die Disziplin und das richtige Mindset an.
Wettkampf bedeutet Krieg
Dieses Mindset zeigte sich auch bei der Frage, was in den beiden Athleten am Wettkampftag im Kopf vorging. Nervosität oder Tunnelblick? „Der Rühl war immer schlecht gelaunt und grimmig, mit dem konnte man nicht reden.“ – sagte Kallbach scherzhaft. Rühl fügte hinzu: „Beim Wettkampf war bei mir Krieg im Kopf.“ Immerhin sage schon der Name „Wettkampf“, dass es um einen Kampf geht. Gerade angesichts der jüngsten Aussagen einiger Deutscher Athleten, dass sie Wettkämpfe eigentlich gar nicht mögen, zeigt sich der Unterschied zu früher. Während ein Rühl oder Kallbach für den Wettkampftag gelebt haben, wird es heute eher als „lästig“ empfunden, auf der Bühne zu stehen. Stattdessen kümmert man sich lieber um das eigene Unternehmen, Instagram oder andere Business-Ideen. Der Niedergang im deutschen Schwergewichts-Bodybuilding kommt also nicht von ungefähr, sondern lässt sich schon an der Einstellung zum Sport erkennen.

Immer noch zwei Champions
Was man bei Markus Rühl und Heiko Kallbach unzweifelhaft merkt: Beide haben Ausstrahlung und Charakter. Außerdem verfügen sie über ein Level von Wissen und Kompetenz, dass dir kein Abschluss oder Doktortitel verleihen kann. Viel mehr vereinen sie neben ihren sportlichen Erfolgen vor allem eigene Erfahrung, umgesetztes Wissen sowie das Selbstverständnis, zu den besten ihres Faches zu gehören.
Trotzdem treten sie stets demütig und bescheiden auf, denn Bodybuilder sind ehrliche und bodenständige Menschen. Kaum einer kommt aus einem reichen Haushalt, sondern die meisten hatten im Leben teils schwer zu kämpfen. Sie kennen deshalb ihre Wurzeln und wissen, wo sie herkommen. Mit jedem wird auf Augenhöhe gesprochen und sich stets Zeit für die Fans genommen. Das zeugt von großem Charakter und macht wahre Champions aus.

