Dorian Yates – eisernes Mindset von „the Shadow“

Kein Geld, keine Familie, keine Unterstützung und mit 18 Jahren im Gefängnis – Die Zukunft von Dorian Yates sah Anfang der 1980er Jahre alles andere als erfolgreich aus. Bodybuilding war für den jungen Engländer das Einzige, worin er gut war und was ihn mental stabil hielt. Dass Yates den Sport für mehrere Jahre prägen sollte wie keiner vor ihm, war damals nicht abzusehen. Noch nie hat es bisher ein Europäer auf den Mr Olympia Thron geschafft.

Isolation und Disziplin statt Ruhm und Geld

Während seine Konkurrenz im sonnigen Venice Beach in den USA trainierte, hielt sich Dorian Yates das ganze Jahr über im trüben Birmingham auf – englisches Wetter statt kalifornischer Lifestyle. Im Temple Gym, das mehr einem Bunker unter der Erde glich, absolvierte der sechsmalige Mr Olympia Champion seine Trainingseinheiten. Im Gegensatz zu den modernen Geräten und dem teuren Equipment im Golds Gym gab es im „Dungeon“, wie Yates es nannte, nur Blut, Schweiß und harte Arbeit. Kein Begrüßungskomitee oder ein freundliches Gesicht an der Rezeption, wie er sagte. Wer die Stufen in das unterirdische Studio hinabging, tauchte ab in die Unterwelt. Jedes einzelne Training zwischen 1983 und 1997 samt Ernährung hielt Yates akribisch in seinen berühmten Trainingslogbüchern fest.

Ein inneres Feuer

Wie stark Dorian Yates charakterlich beschaffen war, macht ein prägender Moment in seinem Leben deutlich: Birmingham im tiefsten Winter, Schnee bis zu den Knien und kein Geld für ein Auto. Während sich der Athlet durch die Schneewehen kämpft, wird ihm bewusst, dass alle seine Konkurrenten in den Vereinigten Staaten, der Hochburg des Bodybuildings, ein bequemes Leben führen. Sonne, Ruhm, Frauen – nur er stapft im kalten England durch den Schnee. Familie und echte Freunde hat Yates kaum. Niemand, der ein positives Wort zu ihm sagt oder ihn aufmuntert, weiterzumachen. Das alles wird ihm in diesem Moment schmerzlich bewusst: Und genau deshalb kämpft er sich durch den Schnee: Um zu trainieren und es allen heimzuzahlen, die drüben in Kalifornien in der Sonne bräunen.

Man nannte ihn „the Shadow“

Da Yates relativ medienscheu war und man ihn parktisch nur einmal im Jahr beim Mr Olympia sah, was das Abschätzen seiner Wettkampfform nahezu unmöglich machte, nannten die Medien ihn „the Shadow“ (den Schatten). Um seine Konkurrenten zu verunsichern, trug er selbst bis kurz vor der Show immer lange Kleidung. Seine Form sah man also erst auf der Bühne und keine Sekunde vorher. Was dann folgte, versetzte die anderen Athelten, das Publikum und die Wettkampfrichter in Erstaunen. Mit einem Gewicht von 120 kg verfügte Yates zur damaligen Zeit über eine beispiellose Muskelmasse und dazu noch eine massive Härte, die alle Konkurrenten nahtlos ausstach.

Er kam, sah, und siegte

Als erstes „Massemonster“ der Bodybuilding-Geschichte gewann Dorian Yates sechs Sandow-Pokale in Folge von 1993 bis 1997. Das Muster war dabei immer dasselbe: Yates bereitete sich das ganze Jahr über in Birmingham auf den Wettkampf vor, kam und holte den Titel – nur um einen Tag später wieder ins Training einzusteigen. Dadurch, dass er nur selten Interviews gab und immer lange Kleidung trug, ließ er die Öffentlichkeit bis kurz vor der Show in Ungewissheit über seinen Trainingszustand. Akribisch wie ein Mönch lebte Dorian so Tag ein, Tag aus während seiner gesamten Karriere.

Eiserne Mentalität

Selbst in Zeiten, in denen Bodybuilder noch nicht alles auf Instagram gepostet haben, war Yates Herangehensweise durchaus ungewöhnlich. Zwar war er als Mr Olympia Champion auch auf einigen Magazin-Covern zu sehen, doch öffentlicher Hype war nichts für den Engländer. Bodybuilding machte er nicht für Ruhm und Geld, sondern weil es seine Passion war. Zu viele Menschen wissen mit diesem Lebensstil nichts anzufangen. Es war auch eine Art Therapie für Yates: Seine ganze Aggression und Enttäuschung kanalisierte sich und entlud sich beim Training. So schaffte er es nach eigener Aussage auch, nicht wieder mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Denn wer hart trainiert, stählt nicht nur seinen Körper, sondern macht sich auch bereit für die Widrigkeiten des Alltags. Noch beeindruckender als Dorian Yates Muskeln war nur sein eisernes Mindset, das sportlich wie menschlich seinesgleichen sucht.